Diabetes Typ-1 als Folge von COVID-19?

Wissenschaftler konnten einen Zusammenhang feststellen

Gibt es einen Zusammenhang zwischen einer Corona-Infektion und Diabetes?

Auch nach 2 Jahren Pandemie weiß man noch nicht, wie genau sich SARS-CoV-2 längerfristig auf den Organismus auswirkt. Häufig werden Long COVID-Symptome beschrieben, die den Betroffenen über Monate hinweg zu schaffen machen können. Doch nun beobachteten Wissenschaftler, dass vor allem eine bestimmte Krankheit drei Monate nach Corona-Wellen gehäuft auftritt.

 

Experten vermuten Long COVID-Welle durch Omikron

Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) erreichten die Infektionszahlen in Deutschland erst vor kurzem Höchstwerte. Auch wenn vieles darauf hindeutet, dass die Verläufe meist milder sind als bei Delta, ist über die Langzeitfolgen einer Omikron-Infektion bis heute nichts bekannt. Wissenschaftler vermuten aber, dass es durch die Omikron-Variante eine Welle von Long COVID-Fällen geben wird. Ob die Infektionen symptomatisch waren oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Forscher haben nun herausgefunden, dass möglicherweise auch die Entstehung von Diabetes vom Typ-1 mit Corona in Zusammenhang stehen könnte. Typ-1-Diabetes tritt üblicherweise im Kindes- und Jugendalter auf und wird deshalb als juveniler Diabetes bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse, die sogenannten Beta-Zellen, durch körpereigene Abwehrstoffe zerstört werden. Folglich kann der Körper kein Insulin mehr herstellen, um den Blutzuckerspiegel zu senken. Die Betroffenen sind lebenslang auf Insulinzufuhr angewiesen.

 

Zuckerkrank nach Corona-Infektion?

Der Verdacht, dass ein Zusammenhang bestehen könnte, kam auf, nachdem der Körper eines 19-jährigen Mannes, sportlich aktiv und kerngesund, innerhalb weniger Wochen aufhörte, Insulin zu produzieren. Auffällig war, dass er sich fünf bis sieben Wochen zuvor mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 angesteckt. Er hatte es nicht einmal bemerkt, seine Infektion verlief asymptomatisch. Das war im März 2020. Zuckerkrank kurz nach einer Corona-Infektion: Zufall? Wohl kaum. An diesem Patienten war einiges auffällig. Zunächst hatte er kein hohes Risiko für Typ-1-Diabetes. Noch interessanter war, dass in seinem Blut keine Abwehrstoffe (Autoantikörper) gegen Insulin oder andere Teile der insulinbildenden Zellen der Bauchspeicheldrüse gefunden wurden. "Alles in allem gab sein Befund einen Hinweis, dass Coronaviren seine insulinbildenden Zellen zerstört haben könnten", sagt Professor Stefan Bornstein, Direktor des Zentrums für Innere Medizin an der Technischen Universität Dresden.

 

USA-Studie: 166 Prozent höheres Risiko für Typ-1-Diabetes bei Kindern

Forschende der Uni Gießen konnten jetzt in einer Studie feststellen, dass diese gemeine Diabetes-Form im Laufe der Pandemie in Deutschland zunahm. Das zeigten ausgewertete Daten des Diabetes-Registers (DPV) vom Zeitraum 1. Januar 2020 bis 30. Juni 2021. Die Inzidenz der Krankheit stieg auf 24,4 pro 100.000 Menschen, basierend auf den Daten der Vorjahre wäre eine Inzidenz von 21,2 zu erwarten gewesen. Insgesamt wurden während der Pandemie mehr als 5162 Fälle bei Kindern und Jugendlichen registriert. Laut Studienleiter Klemens Kamrath handelt es sich dabei um einen 15-prozentigen Anstieg der Erkrankungsfälle während der Pandemie. Besonders auffällig war, dass die Anstiege bei den Krankheitsfälle immer etwa drei Monate nach den bisherigen Corona-Wellen am höchsten waren. Aus der Studie geht jedoch nicht hervor, ob Typ-1-Diabetes eine direkte Folge einer SARS-CoV-2-Infektion sein könnte, denn es ist unklar, ob die betroffenen Kinder tatsächlich eine Corona-Infektion durchgemacht haben. Eine andere Studie aus den USA kam jedoch zu eindeutigen Ergebnissen. Aus einer Datenanalyse des Centres for Disease Control (CDC) ging hervor, dass Kinder unter 18 Jahren, die eine Corona-Infektion durchgemacht hatten, ein um 166 Prozent erhöhtes Risiko hatten, an Diabetes zu erkranken. Als Kontrollgruppe dienten denjenigen, die keine Infektion durchgemacht haben.

 

Riesenwirbel - wenig Aussagekraft

„Diese Studie hat einen Riesenwirbel verursacht, doch sie ist nicht besonders aussagekräftig“, sagt Bornstein. „Denn wie jeder rückblickende Vergleich erlaubt auch dieser keine Schlüsse auf ursächliche Zusammenhänge. Zudem umfasste diese Analyse nur den kurzen Zeitraum von wenigen Wochen. Es bleibt also unklar, ob sich der Zuckerstoffwechsel anschließend wieder normalisiert hat.“ Vorübergehende Entgleisungen bei akuten COVID-19-Erkrankungen sind nichts Ungewöhnliches. Für diese Analyse flossen die Daten von über 500.000 Patienten aus zwei unterschiedlichen Gesundheitsdatenbanken ein. Allerdings führte die Untersuchung der zweiten Datenbank zu einem anderen Ergebnis: Daraus ergab sich ein erhöhtes Risiko nach einer Corona-Infektion von 31 Prozent. Die Forscher konnten sich nicht erklären, wieso die Zahlen diesbezüglich so auseinander gingen. Auch, dass nicht spezifiziert wurde, für welchen Diabetes-Typ das Risiko erhöht sei, sieht der Forscher Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft und Kinderdiabetologe an der Kinderklinik Tübingen, als eine Schwächen der Studie.

 
Entweder direkte oder indirekte Folge der Pandemie

Trotzdem: Ein Zusammenhang zwischen Corona und Typ-1-Diabetes könnte dennoch bestehen. Zum einen könnte SARS-CoV-2 tatsächlich die Beta-Zellen direkt angreifen. Schon lange stehen neben genetischen Ursachen auch Viren im Verdacht Typ-1-Diabetes auszulösen. Dafür spricht, dass gerade Infektionskrankheiten zur Fehlsteuerung des Immunsystems, wie es auch bei COVID-19 der Fall ist, beitragen können. Andererseits könnte Diabetes vom Typ-1 auch eine indirekte Folge der Pandemie sein. Denn Corona-Maßnahmen wie Lockdown, Masken und Social-Distancing haben dazu geführt, dass Kinder weniger Infektionen durchgemacht haben und ihr Immunsystem weniger gefordert und trainiert wurde. Das könnte die Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen erhöhen. „Denkbar wäre etwa der vermehrte Stress, dem Kinder während der Corona-Pandemie nachweislich ausgesetzt sind“ mutmaßt Neu. „Stress steigert die Ausschüttung des Hormons Cortisol, das die Wirkung von Insulin abschwächt. Eine bereits begonnene Autoimmunerkrankung wie Typ-1-Diabetes könnte dadurch schneller fortschreiten.“ Doch auch das ist nur eine Annahme.

 

Fazit

Ob eine COVID-19-Erkrankung also tatsächlich die Entstehung eines Typ-1-Diabetes fördern kann, bleibt unklar. „Wir wissen es nicht – und können es auch gar nicht wissen, weil es eines viel längeren Untersuchungszeitraums bedarf, um so einen Verdacht wissenschaftlich haltbar zu überprüfen,“ Die US-Studie sei zur Klärung der Frage ungeeignet, weitere Forschung ist nötig. Um sich vor den möglichen Langzeitfolgen einer Corona-Infektion zu schützen, gelten das Tragen einer FFP2- bzw. Anti COVID-19 Maske und das Einhalten von Mindestabständen weiterhin als die beiden wirksamsten Maßnahmen.